Eine Entscheidungshilfe geben – das ist das Ziel der Podiumsdiskussion gewesen, zu der die Volkshochschule Leutkirch zur Bundestagswahl am 24. September am Donnerstagabend in der Aitracher Mehrzweckhalle eingeladen hat. Themen waren Klimaschutz, Finanzen, Migration und Innere Sicherheit.
Zusammen mit Moderator Gottfried Härle nahmen auf dem Podium die Direktkandidaten der vier derzeit im Bundestag vertretenen Parteien Platz: Josef Rief (CDU), Martin Gerster(SPD), Anja Reinalter (Grüne) und Ralph Heidenreich (Linke).
Klimaschutzziel wohl verfehlt, Energiewende ins Stocken geraten, Konzepte fürs Energiesparen fehlen, dazu noch die Dieselaffäre. „Wie kommen wir in Deutschland voran?“, wollte Härle wissen.
Die Bundestagsabgeordneten Rief und Gerster waren in Sachen Energie nahezu einer Meinung: Erneuerbare Energien ja, aber gleichzeitig müsse die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit der Energie gewährleistet werden, für Industrie und für Bürger. Beide verteidigten auch die EEG-Reform, „um alles in geordnete Bahnen zu lenken“, (Gerster).
In der Dieselaffäre erwartet Gerster „ein hartes Durchgreifen auch vom Verkehrsministerium“, während Rief darauf vertraut, „dass die Justiz beurteilt, wer beschissen hat und wer nicht“.
„Nicht ganz so toll“
Beide zeigten sich aber auch skeptisch, inwieweit Elektroautos das Modell der Zukunft sind. „Ganz so toll ist das bislang nicht“, so Gerster. Und Rief warnte, man dürfe sich „technologisch nicht verirren“. Dazu gab’s von ihm noch einen Seitenhieb auf Umwelt-und Naturschützer: „Es kann nicht sein, dass dieselben, die nach umweltfreundlicher Energie rufen, dann bei den Demos gegen Stromtrassen ganz vorne stehen.“
Reinalter dagegen mahnte, „mit einem Weiter-so sind wir dicht davor, die Zukunft zu verschlafen“. Es sei bereits viel versäumt worden. Energieautarkes Wohnen samt Elektroauto wäre heute technisch bereits möglich. Und auch bei den E-Autos könnte man weiter sein, „wenn die Konzerne mehr in die Motortechnik gesteckt hätten anstatt sich darauf zu konzentrieren, die Autos immer noch schneller zu machen“. Als Konsequenz aus der Dieselaffäre fordert sie unter anderem mehr Transparenz in der Lobbyarbeit. „Mit Marktwirtschaft kriegen wir die Energiewende nicht hin“, macht sich Heidenreich für mehr Staat in diesem Bereich aus. Klar ist für ihn nicht zuletzt durch die Dieselaffäre auch: „Mit diesen Vollzynikern in den Chefetagen kriegen wir keinen Wandel hin.“
Was tun mit den Milliarden-Überschussen in Bund und Land? Das war Härle nächste Frage an die Kandidaten.
In Infrastruktur und Bildung investieren will Reinalter das Geld. Steuersenkungen hält sie für „nicht richtig“. Auch Gerster will investieren, gleichzeitig aber mittlere und untere Einkommen entlasten, durch eine Steuerreform und das Streichen der Gebühren für die Kinderbetreuung. Damit liegt er in einer Linie mit Rief, der noch ein höheres Kindergeld und einen höheren Kinderfreibetrag aufführte.
Und wie geht’s mit der Rente und den anderen Sozialversicherungen weiter? Brauchen wir ein Grundeinkommen? So Gottfried Härles weitere Fragen zum Thema Geld.
Gerster, Reinalter und Heidenreich sprechen sich für eine Bürgerversicherung (also den Wegfall der Privaten Krankenversicherung) aus. Rief ist dagegen, „die Sozialversicherungen zu verstaatlichen. Wir brauchen Wettbewerb.“
Ebenso lehnt der Christdemokrat ein Grundeinkommen ab. Mit den derzeit geltenden Regelungen gebe es so etwas Ähnliches ja bereits. Reinalter würde es gerne einmal ausprobieren, so wie dies in Finnland derzeit geschehe, wo 2000 Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt wird. Heidenreich will zudem für die Finanzierung der Sozialversicherungen die Vermögenden mehr heranziehen: „Glauben Sie mir.: Wenn einer fünf Milliarden hat, merkt der das gar nicht, wenn er dann nur noch eine Milliarde hat.“
Wie kann Integration noch besser gelingen? Und: Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz? Dürfen wir abschieben? Der dritte Fragenblock behandelte ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt.
Zuwanderung sei normal, so Heidenreich, klar sei aber auch: „Man muss sich an die Regeln des Landes halten, in dem man wohnt.“ Integration gelinge nur „über Sprache als Schlüssel zur Welt, zu Bildung und Arbeit“ (Reinalter), betonten die Grüne, Gerster und Rief. Der Christdemokrat will aber kein Einwanderungsgesetz, denn dies setze ebenso wie die doppelte Staatsbürgerschaft falsche Anreize. „Wir brauchen vielmehr ein Fachkräfteanwerbungsgesetz“, so Rief. Er sprach sich zudem dafür aus, Asylanträge vor Ort, „am besten südlich der Sahara“ bereits zu überprüfen, Asylbewerber ohne Bleibechance „sauber zurückzuführen“ (das will auch Gerster) und denen mit einer Duldung eine längerfristige Perspektive zu geben, um sie in Arbeit zu bekommen.
Humanitäres Kontingent
Ein Einwanderungsgesetz zur Fachkräftegewinnung zusätzlich zum Asylrecht möchte Reinalter. Eine Kombination, die auch Gerster („Politisch Verfolgte genießen Asyl, das muss so bleiben“) vorschwebt: „So können wir Kriterien und Zahl definieren. Das entlastet auch das Asylsystem.“. Dazu können sich beide ein „gewissen Kontingent“ an Menschen vorstellen, die aus humanitären Gründen aufgenommen werden.
In der Gesellschaft heiß diskutiert ist auch das letzte Thema des Aitracher Abends: die Innere Sicherheit und wie sie gewährleistet werden kann.
„Mehr Prävention, mehr Aufklärung, mehr Sicherheitskräfte“, streben Gerster und Reinalter an. Genug Geld und genug Bewerber stünden dafür zur Verfügung, betonte der Sozialdemokrat. Rief ebenso, der außerdem „stärkere und bessere Gesetze, um Übergriffe auf Polizei und Rettungskräfte zu verhindern“, anführte, eine bessere Ausstattung der Polizei, was Ausrüstung und Befugnisse betrifft. Aus der Reihe scherte da Heidenreich, der sich klar gegen „ein Zuviel an Überwachung“ aussprach. Der Linke setzt auf Vertrauen. „Sicherheit kommt aus Vertrauen, nicht aus Überwachung.“
„Nicht ausweichen“, mahnte Härle die Kandidaten bei seiner Abschlussfrage: Mit wem auf dem Podium würden Sie gerne koalieren?
„Persönlich am liebsten mit Frau Reinalter“, antwortete Rief, auch wenn er sich mit Ralph Heidenreich gleichfalls privat gut verstehe. Er blieb indes der einzige, der dem persönlichen Aspekt der Frage nicht auswich.
Gerster sagte, er kämpfe nicht für eine Koalition sondern für eine starke SPD, gestand dabei ein: „Es ist grundsätzlich besser, in einer Regierungsfraktion zu sein, weil man dann gestalten kann“. Heidenreich wünscht sich eine Rot-Rot-Grüne Regierung, „nachdem die SPD für uns langsam koalitionsfähig wird“.
„Gehen sie wählen“
Reinalter schließlich enthielt sich jeder Meinung: Wer am Ende regiere, „das entscheidet der Wähler, und das ist gut so“. Dazu passte Härle Schlusswort, das er den gut 50 Zuhörern mit auf den Nachhauseweg gab: „Nutzen sie ihr demokratisches Recht und gehen sie am 24. September wählen.“
(Text: Steffen Lang, Schwäbische Zeitung, 8.9.2017)